Das mit den Online-Angeboten im Bereich Führungskräfte-Coaching und -Training ist so eine Sache: Einerseits handelt es sich um eine Dienstleistung, die aktuell auf der Prioritätenliste vieler Unternehmen eher die hinteren Plätze belegt, andererseits ist der Bedarf dafür höher als in «guten» Zeiten. Denn Krisen haben die Eigenschaft, bereits vorhandene und als unangenehm empfundene Zustände wie unter einem Vergrößerungsglas zu verstärken.
Was bisher geschah
Tatsache ist, dass der Umgang mit Veränderungsprozessen bei Personalverantwortlichen schon lange auf der Traktandenliste steht, mit unterschiedlichem Engagement, was die Umsetzung betrifft. Jetzt ist – quasi über Nacht – aus dem «wäre schön» ein «unbedingt» geworden. Und auf einmal werden Prozesse ermöglicht, die vorher verunmöglicht wurden (Home-Office), Fähigkeiten werden abgerufen, die bislang in dieser Form nicht gefragt waren (Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme), und es werden Methoden gewählt, die früher lieber mit spitzen Fingern angefasst wurden (Online-Meetings oder -Kollaborationen).
Nicht, dass diese virtuelle Art zu arbeiten und diese Form sozialen Miteinanders künftig das allein seligmachende sein werden. Aber, nach planvoller Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile, ist und wird dieser «Change» künftig weniger eine Einschränkung, sondern mehr eine Chance sein. Also, später. Rückblickend. Im Augenblick fühlt sich ein «Sieh doch das Positive!» für viele an wie ein Schlag in die Magengrube.
Veränderung mit Konstanz
«Angst: Die Arbeitswelt verändert sich rasant – insbesondere in Krisenzeiten. Wie gelingt es uns, dem Neuen offen zu begegnen?» So die ersten beiden Sätze eines Artikels in der Zeitschrift «Psychologie Heute». Aus dem Jahr 2018. Auch (und gerade) in der Veränderung gibt es einige konstante Größen: Das Bedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Vertrauen und Selbstständigkeit (im Sinne von gegebenen Entscheidungsfreiheiten und -möglichkeiten). Das sind die Pfeiler, auf denen das System Mensch einigermaßen stabil steht.
In der Veränderung jedoch ist Flexibilität gefragt und Verständnis. Beides kostet Energie und wird deshalb selten mit tosendem Applaus bedacht, sondern als Zumutung empfunden. Und kaum jemand «verschwendet» seine Energie für etwas, dessen Folgen und Erfolg er nicht kennt – und auch nicht einschätzen kann. Andererseits haben Studien gezeigt, dass Phasen des Umbruchs Menschen dabei helfen können, genau diese – wenn auch unfreiwilligen – Momente zu nutzen, um den Blick auf die eigene Veränderung zu lenken. Denn im Prozess der Veränderung ist ohnehin schon so vieles offen, dass die Bahn auch für weitere Möglichkeiten frei ist.
Don’t blame it on the virus
Wer ist jetzt eigentlich Schuld daran? Daran, dass wir – obwohl bereits auf gutem Weg – schneller sein müssen? Daran, dass nötige Veränderungen vielleicht nicht ganz so gut gelingen wie sie könnten? Die Unternehmen, die Politik, die Verantwortlichen ganz allgemein? Und weil es nicht zielführend ist, wild wedelnd mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen, schlägt jetzt die Stunde derjenigen, die etwas verändern könnten. Wenn sie wollten.
Genau deshalb wird sich auch jetzt die Führungsspreu vom -weizen trennen. Denn, so das bisherige Klagelied von Managern, die Mitarbeitenden seien es, die zu sehr an Routinen festhalten und zu wenig Veränderungsbereitschaft zeigen. Nun also kommt es darauf an, ob es gelingt, aus einem «Du musst Dich ändern» eine «Wir müssen uns ändern»-Haltung zu entwickeln. Und diese Haltung auch zu leben. Führung und Führungskultur haben das Potential, sich durch Lernen aus der Beobachtung sehr viel schneller zu entwickeln und zu ändern als bisher.
Ja, aber
«Ja, ja – das mag sein. Aber erstens: Merkt ihr eigentlich nicht, dass ihr grade Null Relevanz habt, und die Sorgen ganz woanders liegen? Und zweitens: Jeder dahergelaufene Zausel macht jetzt einen auf Online-Beratung. Das war schon immer Käse und wird auch jetzt nicht funktionieren!» – So die typische Argumentation, wenn Argumente Mangelware sind. Dabei wäre es leicht, sich angesichts der zahlreichen Studien, unsere eigene eingeschlossen, vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Vor vielen Jahren haben wir selbst ein Forschungs-Pilotprojekt an der ZHAW in Zürich geleitet, das die Wirksamkeit von Distanz-Beratung untersucht hat. Und für das wir ausgezeichnet wurden.
Alles was zählt
Wofür bekommen Coaches oder Trainer eigentlich ihr Geld? Für die Coaching-Stunden oder den Trainer-Tag? Also die mit den Klienten verbrachte Zeit? Sicher nicht. Denn gut 95 % der Zeit eines solchen Prozesses haben Coaches oder Trainer Sendepause – da sind die Klienten auf sich allein gestellt. Allein mit den alten Mustern, dem inneren Schweinehund, den Ablenkungen und überhaupt allen sonstigen Einflüssen, mit denen unsere schnelllebige wie vielschichtige Welt aufwartet.
Entscheidend für den Erfolg ist es, die Inspiration einer begleiteten Coaching-Einheit in selbsttätige Handlung umzusetzen. Tatsächlich also bemisst sich der Erfolg eines Coaches am Grad der Änderung (wobei auch die Stabilisierung eines kippeligen inneren Systems als Änderung zu verstehen ist). Oder anders: Es ist nicht der Live-Moment eines Coachings, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Vielmehr sind es Wirkfaktoren, die in der Haltung und Person der Coachenden zu finden sind. Es geht um Wertschätzung und emotionale Unterstützung, um ergebnisorientierte Problem- und Selbstreflexion, um eine wirkungsvolle Aktivierung der jeweiligen Ressourcen und – je nach Anliegen – um Unterstützung bei der Umsetzung.
Arbeit, die überzeugt
Ratgeberliteratur für das sachgerechte Vorgehen bei einem Wechsel von Off- zu Online-Seminaren gibt es jetzt reichlich – angesichts der thematischen Dringlichkeit überwiegend in Form knackiger Checklisten. Subjektiv betrachtet halten sie nur wenig Überraschendes für Trainerinnen und Trainer parat, genau genommen ist es sogar nur dieser eine Tipp, öfter mal ’ne Pause zu machen. Denn die «Bildschirmarbeit» ist vor allem für die Teilnehmenden anstrengend, die Möglichkeiten abzutauchen sind kleiner, und deshalb ist die Aufmerksamkeitsspanne kürzer.
Alle anderen dargelegten Erkenntnisse und Empfehlungen beschreiben vielmehr eine Haltung, die implizit bei jeder Seminargestaltung erwartet werden darf und sollte: Gute Vorbereitung ist das A und O, kleine Gruppen und eine niedrige Teilnehmende-pro-Trainer-Quote verbessern die Aussicht auf Erfolg, ansprechend gestaltete Arbeitsunterlagen sind selbstverständlich, Wissensvermittlung in Dozentenmanier ist manchmal unterhaltsam, meistens langweilig (online allerdings besonders ermüdend), und eine gewisse Affinität zu Technik ist hilfreich (in diesen Zeiten sogar notwendig). Fazit: Wer Seminar kann, könnte es auch online. Theoretisch.
Persönliche Stromschnellen
Wie meinen? Das Miteinander ist doch im Prinzip wie herkömmliches Coaching oder Training, bloß ohne «anfassen». Bis zum gewissen Grad ja, und doch sind die Regeln andere, da mindestens eine Wahrnehmungsebene fehlt – manchmal sogar zwei. Und auf einmal werden Stimme, Tonlage und der sprachliche Ausdruck wichtiger als Körperhaltung oder Blickkontakt. Eine Umverteilung non-verbaler Zeichen also, die vielleicht gewöhnungsbedürftig ist, sich jedoch durch Übung verbessern lässt.
Dennoch ist vor allem Coaching auf Distanz (Bild & Ton, nur Ton, nur Text) nicht jedermanns Sache. Weder auf der einen, noch der anderen Seite. Wer sich als Coach in diesem Element nicht wohlfühlt, wird nicht in der Lage sein, seine Klienten sicher, professionell und wirkungsvoll in diesem Prozess zu begleiten. Wer wiederum als Coachee-in-spe schreiben, telefonieren oder den virtuellen Austausch über ein entsprechendes Tool als unangenehm empfindet (und wenn die Ablehnung deutlich ausgeprägter ist als die Neugier), wird sich sehr wahrscheinlich auf einen solchen Prozess nicht einlassen.
Epilog
Man kann Online-Coaching und Online-Training mögen oder nicht. Das ist persönliches Empfinden und eine daraus resultierende Bewertung. Aber zu behaupten, es sei großer Quatsch, ist Quatsch. Behaupten wir.